Das Museum für Moderne Kunst Frankfurt hat soviel Kunst gesammelt, dass es für eine weitere Dependance mitten in Frankfurt reicht. Moderne Kunst hat Hochkonjunktur und so fanden sich viele Geldgeber. Eröffnet wird mit den Künstlerinnen der Sammlung. Von Regina Liebermann

Vanessa Beecroft, Videostill , Ausschnitte aus der PerformanceVB68, Performance im MMK Frankfurt am Main 2011
Taunustor 1 ist die neueste Adresse für moderne Kunst in Frankfurt. Eingezogen ist das MMK 2, ein Ableger des MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, in die zweite Etage des Taunusturms, eines Büro-Wolkenkratzers, der 2014 komplett fertig gestellt wurde. Das ist neu in Deutschland. Kunst in der Bank –nun das gibt es schon immer. Aber ein Museum im Bürohochhaus ist einmalig.
Bisher ebenso einmalig ist die komplette Finanzierung durch private Mittel. Eigentümer des Taunusturms sind der international agierende Immobilienentwickler Tishman Speyer und die Commerz Real AG. Firmengründer Jerry I. Speyer ist Vorsitzender des Museums of Modern Art in New York. Operturm und Messeturm wurden ebenfalls von Tishman Speyer entwickelt und mit hochrangiger Kunst bespielt. Dem MMK Frankfurt wird eine Fläche von 2000 Quadratmetern fünfzehn Jahre lang miet- und nebenkostenfrei zur Verfügung gestellt. Die laufenden Kosten des Museumsbetriebes sind durch die Gründungspartner- dem Unternehmer Stefan Quandt, der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen, der Ernst Max von Grunellius-Stiftung und der DekaBank und eine Reihe weiterer privater Förderer- abgedeckt. Diese Premiere hat in einigen Medien offensichtlich viele Fragen aufgeworfen. Darf ein Museum in Deutschland ausschließlich von privaten Geldgebern finanziert werden? Darunter Immobilienunternehmen, die gar einen Gewinn aus der Partnerschaft ziehen, sich mit den schönen Künsten, also mit fremden Federn schmücken können? Bleibt die Kunst noch unabhängig? War sie es je?
She boom?
Die neue Museumsdependance im Taunusturm präsentiert mit ihrer Eröffnungsschau ausschließlich Künstlerinnen aus der großen Sammlung des MMK. Freilich gibt es viele Gründe sich einmal nur mit den Frauen in der Gegenwartkunst zu beschäftigen: Mit männlichen Künstlern beschäftigt sich der überwiegende Teil des Kunstbetriebes. Die berühmtesten Kunstwerke stammen von Männern- umgekehrt ist es bisher so, dass die Tatsache ein Mann zu sein, eine wichtige Kategorie ist, um als Kunstschaffender nach vorne zu kommen. Die bekanntesten Kunstsammlungen sind naturgemäß in männlicher Hand. Die darin versammelten Kunstwerke stammen mehrheitlich von männlichen Künstlern. So weit, so bekannt.
Wenn wir durch die Ausstellung gehen fragen wir uns am Schluss: Was macht den Unterschied aus?
Wir stellen fest, es gibt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Die ausgestellten Werke könnten ebenso von einem Mann hergestellt worden sein. Doch allein dafür hat sich dieses Vorgehen des MMK 2 gelohnt. 28 Künstlerinnen zeigen ihre Sichtweise auf eine von Männern und Frauen geprägte Welt. In einem Fall mag es eine ungewohnte Perspektive sein. Im andern Fall eine tiefe und reife Perspektive. Manchmal ist sie abgeschmackt, vorhersehbar oder betroffenheitsheischend. Ähnlich wie bei den Männern.
Boom She boom – die Künstlerinnen
Vanessa Beecroft (1969 in Genua, Italien geboren)
Gleich am Eingang der Ausstellung empfängt uns die Videowand mit Beecrofts im Jahr 2011 entstandenen Performance VB68. Zu sehen ist eine Abfolge von Ausschnitten der Performance: Eine Gruppe von nackten Frauen sitzt auf dem holzfarbenen Boden. Alle tragen neonfarbene Pumps, sind makellos geschminkt und frisiert. Sie verharren fast ohne Bewegung in ihrer Sitzhaltung, die wie zufällig eingenommen aussieht. Dann wieder stehen einige der Frauen im Hintergrund. Dann eine Großaufnahme eines Gesichts. Schön und seltsam ausdruckslos, neutral. Die Antlitze der Models (Vanessa Beecroft arbeitet in ihren Performances nicht mit Laien oder etwa dem Publikum) wirken puppenhaft. Im Kontrast dazu, die neugierigen Blicke der Betrachter, welche auch zu sehen sind.
Beecroft setzt sich in ihren Performances immer wieder kritisch mit der gesellschaftlichen oder medialen Wertung des weiblichen Körpers auseinander. Dabei sind diese Aufführungen vorher präzise choreografiert und sozusagen als lebende Bilder komponiert. Damit unterscheidet sie sich konsequent von der typischen Künstlerperformance. Vielmehr schafft Beecroft, die früher in Mailand auch Bühnengestaltung studierte, mit ihren Aufführungen Bühneninszenierungen. Die hier als Video und auf zwei großformatigen Fotos zu sehende Performance VB68 wurde innerhalb der MMK-Ausstellung Not in fashion entwickelt und aufgeführt.
Charlotte Posenenske (1930 in Wiesbaden, Deutschland geboren-1985 in Frankfurt am Main verstorben)
Die aus dünnem Stahlblech gefertigten, verzinkten Hohlkörper an der Wand der Museumsetage im Taunusturm fügen sich nahtlos ein in den Rohbau-Look dieser Hochhausetage. Die Betonwände sind schlicht weiß gestrichen, die Decken im Industrial-Stil mit unverkleideten Metallrohren und jeder Menge Leuchtstoffröhren. Hier benötigen die nüchternen, minimalistischen Blech-Skulpturen der Charlotte Posenenske fast schon eine Übersetzung ins 21. Jahrhundert. Auch wenn diese noch zur Gegenwartskunst gehören; schließlich sind die Skulpturen der Serie D über 40 Jahre alt. Die Elemente sind 1967 entstanden. Posenenske ging es in ihren Arbeiten um Nüchternheit, Fortsetzbarkeit, Kombinationsmöglichkeit, Wiederholbarkeit, Standardisierung. Dieses Konzept der möglichst hohen Sachlichkeit und Abwertung jeder persönlichen Handschrift kann als eine Abkehr der bis dahin verbreiteten heroischen, elitären, dem genialischen Schöpferkünstler verpflichteten Kunstauffassung verstanden werden. Künstlerisches Schöpfen und Kunst soll stattdessen Mittel der Politisierung und der Demokratisierung sein. Ende 1968 beendet Posenenske allerdings ihr künstlerisches Schaffen. Sie sagt damals, Kunst könne nichts zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme beitragen.
Katharina Fritsch (1956 in Essen, Deutschland geboren)
Zweiunddreißig identische männliche Klone sitzen zu Tisch. Katharina Fritschs Tischgesellschaft ist das genaue Gegenteil einer lebendigen, lebhaften Szene der Tischgesellen, die zechend im Wirtshaus oder diskutierend am feinen Bankett-Tisch sitzen. Diese Bilder sind uns in der Kunst über Jahrhunderte wohlbekannt. Auch mit dem Abendmahl lässt sich die Gruppe der uniform dasitzenden Plastikmänner nicht verbinden. Es gibt keinen Gastgeber. Alle sind gleich. Alle sind konzentriert auf sich selbst. Jeder sitzt für sich allein. Ein autistischer Albtraum.
Barbara Klemm (1939 in Münster, Deutschland geboren)
Als Barbara Klemm Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts nach China reist, fotografiert sie in Peking Menschen in ihrem Alltag, das Geschehen auf der Straße. Die damalige Fotografin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die bekannt ist durch unzählige Fotos von politischen und gesellschaftlichen Meilensteinen der alten und auch der neuen Bundesrepublik, stellt hier ein zaghaft aufwachendes dem alten China gegenüber. Einerseits ein China der Dörfer, bei dem sich das halbe Leben auf der Straße abspielt, aber auch bereits Szenen von modernen jungen Paaren, die durch die Straßen von Peking schlendern, lachend vorbeiziehen an den alten Frauen, die zum Schwätzen zusammen an der Straße sitzen.
Sarah Morris (1967 in London, Vereinigtes Königreich geboren)
Eine präzise Beobachterin und konsequente Regisseurin ist auch Sarah Morris im olympischen Peking 2008. Sie zeigt in ihrer Videoarbeit Ansichten abseits der Goldmedaillen , führt den Zuschauer durch die zweite Reihe: stille, unbeachtet geglaubte Momente der Vorbereitung der Athleten, höchste Anspannung vor den Wettbewerben, der Moment der Enttäuschung, der kaum auf dem Gesicht der Turnerin zu spüren ist, als sie den Abgang vom Olympiabarren macht; glücklos, keines Trainerblickes würdig. Alles scheint in dieser grellen Olympiawelt unter Kontrolle zu sein. Uniformierte Mädchen bürsten im Takt die Hallenböden, völlig gleichförmig: eine Art Ballett des Putzwahns. Morris zeigt ein China der Selbststilisierung und der Kontrollsucht, ein immer noch autoritäres Land in einer Zeit der Veränderung und der scheinbaren Öffnung. Morris inszeniert ein durch Funktionäre betriebenes Disneyland. Neben der Schnittführung setzt sie lediglich elektronische Musik als Begleitung ein. Einen eigenen Ton lässt sie Peking nicht.
Andrea Büttner (1972 in Stuttgart, Deutschland geboren)
Andrea Büttner verwendet bei Ihren Fabric Paintings einfarbige, industriell für Arbeitsuniformen angefertigte Textilien. In diesen formal minimalistischen Arbeiten nimmt sie Bezug auf Franz von Assisi und Themen wie Armut, soziale und ethische Fragen und Religion. Der Heilige Franziskus, geboren Ende des zwölften Jahrhunderts als Sohn eines reichen Tuchhändlers, entsagte dem weltlichen Reichtum indem er sich öffentlich seine Kleider auszog und seinem Vater zurückgab.
Fotos von Regina Liebermann und Sylvia Bernhardt, Pressefotos Axel Schneider mit freundlicher Genehmigung des MMK Frankfurt am Main
Die Schau Boom She Boom im MMK2 Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main bis zum 14. Juni 2015.
Mehr Infos unter http://mmk-frankfurt.de
Posted on Oktober 30, 2014
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