Georg Baselitz im Städel /Von Regina Liebermann
Fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung holt Max Hollein die traurigen Helden des Georg Baselitz als vollständige Werkgruppe in das Frankfurter Städel Museum. Gut ist, dass Die Helden -zu sehen sind 70 Gemälde und Arbeiten auf Papier auf zwei großen Ebenen – als Thema für sich stehen und der Betrachter die Möglichkeit hat, sich in das Schaffen Baselitz aus dieser Periode zu vertiefen.
Baselitz schuf seine Figuren ab 1965. Zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, mitten im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik war die Gesellschaft beseelt vom Aufbau, vom Neuen, vom Fortschritt. Es ging voran, da blieb wenig Zeit und Lust zurück zu blicken. Auch in der Kunst schuf man eher Zukunftsvisionen, wie die ZERO Künstler oder blieb abstrakt. Es schien keine Kraft mehr da zu sein, dass Vergangene, die Gräuel des Krieges, das was Menschen sich gegenseitig angetan hatten und die daraus folgende Entwurzelung wahrzunehmen und zu begreifen.
Baselitz malte seine Typen als Kolosse mit kleinen Köpfen, übergroßen Extremitäten und teilweise vergrößerten Phalli, das ganze Bild dominierend, aber seltsam schweben oder fast taumelnd. Überlebende nach der größten Katastrophe der Menschheit. Heimkehrer, die nichts Brauchbares vorfinden. Junge Männer ohne Wurzeln, ohne festen Stand, ausgerüstet mit zerschlissenen Uniformen, barfuß, aber mit schwerem Gepäck auf dem Rücken. Doch was nutzt der schwere zerfledderte Armeerucksack, die Staffelei oder die löchrige Fahne?
Das Bild Die großen Freunde lässt die Interpretation der Hoffnung und des Neuanfangs zu. Die Freunde sind allein durch Haltung und Farbkomposition erfreulich vital. Unterstützt wird dies durch den Kontrast mit dem dunklen Hintergrund und dem zerstörten, aufgewühlten, verbrannten Boden auf dem sie stehen.
Manche der Helden und Neuen Typen wirken sogar fast etwas zart und engelhaft. Auch weibliche Attribute finden sich in den Gesichtszügen. So scheint Der neue Typ, eine Papierarbeit entstanden auch im Jahre 1965, fast wie ein Astronaut zu schweben. Oder ist es doch ein gelber Engel? Oder ein Mädchen im Raumanzug?

Wolfgang Frommel im Berliner Atelier in Begleitung von Manuel R. Goldschmidt zu Besuch bei Baselitz1966, c Elke Baselitz, courtesy Archiv Castrum Peregrini

Georg Baselitz, 2014, Foto: Peter Knaup
Georg Baselitz wird 1938 in Deutschbaselitz geboren. 1956 wird er nach zwei Semestern wegen gesellschaftlicher Unreife von der Hochschule für bildende Künste in Ost Berlin verwiesen. 1957 setzt er sein Studium in West-Berlin fort.
Sein Bild Die große Nacht im Eimer, das einen verunstalteten jungen Mann mit Hitlerfrisur und Phallus zeigt, führt 1963 zu einem Skandal. Der Staatsanwalt greift ein; das Bild wird entfernt.
Der Galerist Franz Dahlem nannte das Bild damals einen Tritt in die Eier der Deutschen. Baselitz sagt dazu in einem 1989 veröffentlichten Interview: …Auch wenn man es unbewusst vielleicht so empfunden hat, wobei ich nicht weiß, ob die Leute wirklich Eier gehabt hatten, wo man hätte rein treten können. Die große Nacht im Eimer war ein provokanten Bild, auch die Haltung, meine Position, war so gemeint. Aber gezielt hätte ich im Übrigen gar nicht treten können. Weil das Übel viel zu vielschichtig war. Wen hätte ich schon präzise anpeilen können? Die Akademie, die Politiker, den Mann von der Straße?
Im Frühjahr 1965 war Baselitz dann Stipendiat der Villa Romana in Florenz. Hier entstanden die ersten Helden und Typen.
1969 malte Baselitz mit Der Wald auf dem Kopf sein erstes namhaftes Bild in der Motivumkehr. Dem folgte 1970 in der Kölner Galerie Franz Dahlem die erste Ausstellung, in der ausschließlich die später berühmt gewordenen kopfstehende Bilder zu sehen waren.
Die Schau Georg Baselitz. Die Helden ist vom 30. Juni bis 23. Oktober im Städel Museum Frankfurt zu sehen.
Posted on August 4, 2016
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