Auf der Suche nach der Frankfurt-DNA

Posted on Februar 3, 2017

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Von Regina Liebermann

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Mattia Noal – Ein Neu-Frankfurter auf der Suche nach der neuen Malerei

Ein Junge mit blauem Kapuzenpulli bückt sich; mitten im Wald liegen vor ihm drei pastellfarbige Bälle. Er rupft Grasbüschel um die Bälle herum aus. Zwei weitere Bilder folgen, auf dem dritten ist das Gras schon fast verschwunden. Drei Sequenzen aus einem Film? Die hier gezeigte Malerei von Mattia Noal versteht sich als Erweiterte Malerei. Und das nicht nur im Wortsinn einer Erweiterung oder Befreiung der Leinwand oder anderer Materialien in eine Raumdimension. Sie ist ein sehr gutes Beispiel dafür, den umfassenden Einzug der digitalen Technik in unsere Lebensräume zu zeigen und zu problematisieren, und dies mit den Mitteln der klassischen Malerei und weitgehend ohne diese digitale Technik explizit zu zeigen. Durch diese Auslassung spielen alle hier ausgestellten Arbeiten mit praktisch zahllosen Möglichkeiten der Interpretation – Missverständnisse eingeschlossen.

Noal bezeichnet seine Bilder auch als Sequenzen, und tatsächlich könnten es abgemalte Filmausschnitte sein. So haben die gezeigten Bilder etwas von herausgeschnittenem Fotomaterial, Filmstreifen, oder es könnten jeweils drei oder vier Bilder eines Storyboards sein, welches in der Film-, Videospiele- oder Werbeindustrie ein Mittel zum Erzählen oder pitchen eines Filmstoffes ist.

Inspirieren lässt sich der Maler, der sein Studium 2012 an der Fine Arts Academy in Verona abgeschlossen hat und vorher in Padua vornehmlich Kunstwissenschaften studierte, zum Beispiel durch eine frühere Mitbewohnerin, welche Videospiele entwickelte. Der aufwändige Prozess bis zur Entstehung des fertigen Spiels interessierte ihn. So wie bei seinen Bildern, die ganz klassisch mit Farbe und Leinwand entstehen. Dabei hat er einen markanten Kniff entwickelt, um die zunächst erzeugte Stille und einen möglicherweise erhabenen natürlichen Einklang zu brechen: Das großformatige Bild der Serie Research, als Fortsetzung der oben beschriebenen Sequenzen, zeigt den Jungen wieder hockend vor den Bällen, in beiden Händen hält er jetzt meterlange Sprossen, welche anscheinend den Bällen entspringen. Am dunklen Wolkenhimmel erscheinen zwei leuchtende Neonröhren, schwebend wie die Lichtschwerter eines Luke Skywalker.

Ob Noal sich bei seiner Symbolsprache bei Regisseur George Lucas bedient oder ob seine Symbolik biblische Anleihen hat, in jedem Fall ist seine Bildsprache charakteristisch und dabei anziehend unaufgeregt.

Der Stil erinnert an Bill Viola, der sich schon seit den 70er Jahren mit seinen Videotapes und Installationen Themen wie mediale Wahrnehmung vornimmt und dessen Meisterwerke eine unverwechselbare Bildsprache und Bildkraft besitzen. Charakteristisch für die Kunst Violas ist die Beschäftigung und die Verarbeitung von Zeit und Zeitabläufen im menschlichen Leben und in der Natur. Die Zeit ist ein zentraler Begriff mit dem Viola arbeitet, indem er Abläufe (wenn auch künstliche) teilweise in Echtzeit darstellt.

 

Michael Wagener – Auf der Suche nach der Frankfurt- Perspektive

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Michael Wagener, morgens #3, Farbfotografie, 120 x 80 cm, Ed. 5 +1, Frankfurt/Main, 2016

Ein Trupp schwarzer Krähen zieht seine Bahn im Frankfurter Nebel. Der ist schwer und hängt über der Spitze des Silberturms. Wahrscheinlich November. Das ist in der Frankfurter City wahrlich kein Vergnügen. Bleischwer ist der Morgen, doch die Krähen kümmern sich nicht drum, nehmen Schwung auf und heitern Ansicht und Stimmung etwas auf – tja fliegen müsste man können.

Eine gelungene Großstadtansicht, doch wer nimmt bei solch einem Wetter eigentlich die Kamera mit und schon gar um Vögel zu fotografieren? Michael Wagener jedenfalls musste für dieses Foto nicht aus dem Haus. Ein Blick aus seinem Fenster in der Frankfurter Innenstadt genügte an diesem Morgen, um den Flug der Vögel, eines seiner bevorzugten Motive, vor dem Hintergrund des Wolkenkratzers einzufangen.

Thema der Arbeit des Frankfurter Fotografen Michael Wagener ist seit vielen Jahren die Perspektive, die Wahrnehmung und Aneignung von Raum durch Organisation und das Schaffen von visuell ordnenden Strukturen. Wagener, der in den 90er Jahren Bildhauerei und Fotografie an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach studierte und heute in Frankfurt lebt und arbeitet, bezieht sich in seinen früheren Arbeiten auf Gerhard Mercator.

Mercator lebte im Zeitalter der Reformation und der großen Entdeckungen der Seefahrt. Die von Mercator entwickelte (Wand-)Weltkarte, die er 1569 vorstellte, war für die Seefahrt zu unhandlich. Sie wurde also von ihm in 29 Blätter zerschnitten und erschien als erster gedruckter, gebundener See-Atlas überhaupt. Um diese plane, erstmals winkeltreue Karte der Erde zu erhalten, mit der nun lediglich mit Hilfe eines Kompasses navigiert werden konnte, erfand er zuvor die nach ihm benannte Mercator-Projektion.

Die Kunst neue Bilder von der Welt zu fertigen

Inspiriert von dem großen Wissenschaftler und Kartografen aus dem 16. Jahrhundert sind Michael Wageners Bilderserien unter dem Titel Kartografie der Vögel entstanden. Sie alle zeigen eine Vogelperspektive der besonderen Art: Fotografien von Flugformationen von Vögeln am Himmel, die auf den zweiten Blick etwas stutzig machen, weil sie alle perfekt geordnet und choreographiert erscheinen. Und genau das sind sie auch. Es sind perfekte Fotocollagen, die zunächst aber nicht als solche daherkommen. Fälschungen der Natur gewissermaßen.

 

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Oder Korrekturen, wenn man so will. Michael Wagener rastert und vermisst, ordnet an und ordnet neu. Und so entstehen sehr ästhetische zarte Bilder der Natur, die jedoch mit der festen Struktur und Planung eines Formationsflugs auf einer Fliegershow viel gemeinsam haben.

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Michael Wagener, Somewhere over the rainbow A; serie landskeips; C-Print; Auflage 6+2+1; 40 x 60cm; 1995/2011

Schon in einer früheren Serie legt er ein gitterförmiges Raster über Luftaufnahmen der Erde. Bilder von Küstenlandschaften, alpine Gebirgslandschaften aus der Vogelperspektive Somewhere over the rainbow nennt er diese Arbeiten und ist, ganz weit über den Wolken, sogar den Zugvögeln entwischt.

 

Claudia Sölter – Auf der Suche nach dem Frankfurt-Gefühl

 

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Claudia Sölter, Frankfurt-herrlich unwichtig, Farbfotografie, 55 x 41 cm, Ed. 2+1, Frankfurt am Main, 2010,

In Frankfurt hat man schon viel nachgedacht über Frankfurt und das Image der Stadt. Wer hier schon lange lebt, mag die Stadt, kennt aber auch die Vorurteile und Namen wie Mainhatten, Bankfurt oder gar Krankfurt und weiß ihnen mit hunderten Gegenbeispielen zu begegnen.

Aber wer von außen kommt? Der mag sich erst einmal die Zähne ausbeißen, an den Hochhausschluchten, den unzugänglichen Bankentürmen, dem riesigen Flughafen, dem Großstadtlärm und auch dem Schmutz. So ähnlich dachte auch Claudia Sölter über Frankfurt, als sie vor gut 25 Jahren von Flensburg nach Frankfurt zog. Sie fand Frankfurt hässlich und erschreckend kalt. Die Bankentürme mochte sie überhaupt nicht.

Schwer zu glauben, wenn man heute die Frankfurt-Ansicht von Sölter auf dem Januarblatt des Frankfurt to Go to Stay Kalenders betrachtet: Unendlich zart, fast wie hingehaucht breitet sich die Frankfurt-Skyline am Horizont aus, weichgezeichnet und umhüllt von rosigem Abenddunst an einem Hochsommertag und gebettet auf hunderten Baumwipfeln Sachsenhausens und des Frankfurter Stadtwaldes im Vordergrund. Die Taunushügel im Hinterland sind nur zu erahnen- mediterran wirkt hier die Riesenstadt und dazu benötigt Sölter nicht einmal den Main- den sie sonst auch sehr gerne in Szene setzt. Gleich hinter den funkelnden Beton- und Glasriesen könnte auch das Meer zum Baden locken- oder ist es nur der Baggersee?

Claudia Sölter, die den Beruf der Fotografin vor bald 30 Jahren erlernt hat, ist heute sehr stark mit dem Motiv Frankfurt verbunden. Kaum eine Ansicht von der Großstadt am Main, die sie nicht schon auf die eine oder andere Weise künstlerisch und handwerklich verarbeitet hat. Und gleichzeitig sind ihre Streifzüge durch das bekannte und das unbekannte Frankfurt auch eine Art von Erforschung und auch Aneignung des Gefühls einer Großstadt, die sie längst als Heimat betrachtet und die ihr doch zu Anfang sehr lange fast bedrohlich erschien.

Die Ausstellung Frankfurt To Go To Stay ist bis zum 30. April 2017 in der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main, nach Vereinbarung mit Galerie Sylvia Bernhardt (Telefon: +49.611.1743804), zu besichtigen.

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