Ein Blick durch die amerikanische Linse
von Sylvia Bernhardt
In Miami habe ich hochästhetische Fotografien entdeckt, aufgenommen von Viveca Ljung, präsentiert in ihrer aktuellen Ausstellung, mit dem Titel „Faces of the World“.
Ich möchte die Fotografien zeigen, weil sie meiner Meinung nach typisch sind für die amerikanische Sicht auf die Dinge:
Zu sehen sind großformatige Porträts von Kindern im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren. Sie sind immer in der gleichen Perspektive, frontal fotografiert, immer im gleichen Licht. Die Kinder tragen weiße oder schwarze T-Shirts. Die Schwarz-Weiß-Fotografien werden ungerahmt, wie Plakate gezeigt. Teilweise hängen sie an der Wand, teilweise werden sie von der Decke, frei schwebend, im Raum präsentiert. Der Ausstellungsraum ist eine Lagerhalle am Miami-River.
Großformatig schauen uns amerikanische, asiatische, dunkelhäutige, blonde, rothaarige, sommersprossige Jungen und Mädchen, mit konzentriertem, offenem Blick an. Gegenüber finden sich kleinere Formate mit einer Vielzahl von Kinderporträts aufgenommen mit der gleichen Kameraeinstellung.
Im Gespräch mit der Fotografin Viveca Ljung (VL) erfahre ich, wie sie dazu kam, die bisher 180 Kinder zu fotografieren.
c.art: Was war die Motivation für Dein aktuelles Fotoprojekt „Faces of the World“?
VL: Miami ist ein Schmelztiegel der Kulturen. In den 180 Kinderporträts sehen wir Jungen und Mädchen mit Eltern aus 70 verschiedenen Nationen. Jedes der fotografierten Kinder hat Eltern aus zwei unterschiedlichen Nationen. Da ist die Mutter aus Italien, der Vater Ire. Da ist ein Elternteil muslimisch der andere jüdischer Herkunft. Die Kinder sind alle Amerikaner.
c.art: Deine Tochter hat mit Dir eine schwedische Mutter und einen Vater aus Deutschland. Sie ist aber Amerikanerin?
VL: Ja, meine Tochter ist in Miami geboren und wächst hier auf. Wie alle anderen Kinder in diesem Projekt. Ich möchte, dass meine Tochter stolz auf dass ist, was ihre Mutter macht: Ich will zeigen, dass diese Kinder eine neue Generation darstellen. Sie sind unsere Zukunft. Sie können Dinge vielleicht besser machen als wir. Es ist schwer den Blick unserer Generation auf Themen wie verschiedene Hautfarbe und verschiedene Religionen zu ändern. Unsere Kinder sind internationaler aufgewachsen. Sie denken nicht so an Abgrenzung zu anderen Kulturen.
c.art: Du hast ein Buch geplant. Was erfährt man dort alles über die Kinder?
VL: Wir zeigen das Porträt und schreiben dazu den Vornamen und die beiden Länder, aus denen Ihre Eltern kommen. Es gibt ansonsten keine weiteren Informationen.
Während ich durch die Ausstellung gehe, fällt mir auf: Das immer gleiche Format trägt viel mehr dazu bei, die Gemeinsamkeit all dieser Kinder herauszuarbeiten. Eigentlich war „Diversity“ Vielfalt, Unterschiedlichkeit jedoch ursprünglich das Thema und Motivation der Fotografin aus Miami.
Oder will Sie uns zeigen, dass wir als Kinder alle aus dem gleichen Pool kommen? Erst später werden wir unterschiedlich, geprägt durch die Kultur von der wir umgeben sind, durch die Gesellschaft in der wir aufwachsen und durch den Lebensweg, den wir gehen.
Doch funktioniert dieser durchaus humanitäre Ansatz mit den hier gezeigten genormten Formaten überall? Hier in Miami und in der amerikanischen Kultur gibt es die Tendenz zur möglichst idealistischen Selbstdarstellung. Getrieben durch Medien und soziale Netzwerke wird eine Ideologie des Perfektionismus auch in die nächste Generation transportiert.
Zurück in Europa finde ich die Fotos immer noch sehr gut. Auf Grund der typischen amerikanischen (rosaroten) Linse, hat Viveca Ljung es geschafft, viel mehr die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, als die Unterschiede…
Die Ausstellung „Faces of the World“ ist nach Vereinbarung in Miami zu sehen. Interessierte Einzelpersonen oder Gruppen können sich unter mail@sylviabernhardt.com anmelden. Wir organisieren auf Wunsch eine Kunstschau in Europa.
Posted on April 12, 2017
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