Diese Wand gehört uns

Posted on Oktober 13, 2013

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von Regina Liebermann

11 brasilianische Street-Art-Künstler rocken Frankfurt / Wir zeigen fünf Graffitis der Ausstellung Street-Art-Brazil der Schirn Kunsthalle

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Bunt, dynamisch, poetisch oder düster: Brasiliens Street Art erfüllt weder Mainstream-Projektionen á la Copacabana Folklore, noch die Erwartungen, die wir in Europa an Graffiti haben.  Zum Beispiel das Werk von Herbert Baglione, der den Weg vom Graffiti-Writer zum Street-Art – Künstler vollzog und nun seine geisterhaften, manchmal wie Totenmasken anmutenden Gestalten mitten auf dem weiten, offenen Platz der Hauptwache über den Boden ziehen lässt wie giftige Nebelschwaden. Er arbeite, spiele mit der Architektur, den Strukturen der Stadt, die er vorfindet, sagt Baglione. Das wecke ein anderes Interesse an der Stadt: Dinge zu sehen, die man vorher nicht sah.
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Die 22 Meter hohe knallbunte Kopffigur an der Fassade der Frankfurter Matthäuskirche des Brasilianers Speto erzählt die skurrile Geschichte eines der 220.000 motoboys, der Motorradkuriere Sao Paulos. Speto nennt sein holzschnittartiges Gesicht jedoch mortoboy – denn viele der Kuriere kommen bei den waghalsigen Fahrten durch den dichten Verkehr der Millionenmetropole ums Leben. Spetos Wandmalereien sind geprägt von der nordbrasilianischen Tradition der Literatura de Cordel, entstanden im 17. Jahrhundert. Diese Erzählungen vereinten sowohl indigene Legenden, christliche Motive als auch afrikanische Kultur. Sie  wurden mit Holzschnitten illustriert und als Kommunikationsmedien über zeitgeschichtliche Ereignisse genutzt. In dieser Tradition schrieb Speto eine Cordel-Dichtung über einen der motoboys. Sein großformatiges Graffiti zwischen Frankfurter Bahnhof und Messe erzählt diese Geschichte.

„Du musst du selbst sein, um jemand zu sein.“ Speto
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Ein Schandfleck – das ist für Viele, die in Frankfurt leben oder arbeiten, das einzige was sie noch mit dem alten, hässlichen ehemaligen Polizeipräsidium verbinden. Jetzt ist der alte Bau einfach okkupiert worden. Ein Junge und ein Mädchen sind für kurze Zeit eingezogen. Der Junge kauert nachdenklich auf einem riesigen Bücherturm. Das Mädchen schaut uns mit großen Augen an. Nicht gerade herzerwärmend dieser Ort.

Und doch berühren uns diese, von Tinhos gemalten, Kinder. Die ungezählten Entführungen von Kindern in den 1990er Jahren in seiner Heimat Brasilien sind das Thema seiner Arbeiten im Stadtraum. Er stellt die Kinder anhand von Fotovorlagen aus Vermisstenanzeigen in Kirchenblättern und Suchanzeigen auf Tomaten- oder Milchverpackungen dar. Tinhos gehört, wie auch Speto oder Vitché, zur ersten Generation der Grafiteiros. Angefangen haben sie zumeist mit den Pixacao, der brasilianischen Form des Taggings, um dann zu den großformatigen typischen Murals (Wandmalereien) zu kommen.
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Ruß aus Sao Paulo bringt Alexandre Orion den Frankfurtern sozusagen als Gastgeschenk mit. Mit Farbe gemischt entstand daraus, auf der Fassade des Sparkassengebäudes, ein 400 Quadratmeter großes Wandgemälde, welches einen im Schneidersitz meditierenden Kämpfer zeigt. Die Arme erhoben, hat er in beiden Händen Steine. Betet er? Wird er die Steine werfen?

„Es geht um Brasilien, um die Proteste, die dort auch gegen die Fußball-WM stattfanden“, sagt Alexandre Orion. Es zeige einen Demonstranten, der in friedlicher Weise nachdenke über das was erreicht worden ist und was noch passieren müsse. Der Ruß ist Abfallprodukt seines Projektes Ossario (Grabstätte), bei dem er die abgasgeschwärzten Wände eines Autotunnels in Sao Paulo durch Abwischen auf einer Länge von 300 Meter mit tausenden von Totenköpfen versah. Und obschon dies nicht im eigentlichen Sinne Sachbeschädigung war, fiel das Bild der Zensur zum Opfer und wurde entfernt.  Für dieses Projekt sei das verwendete Rohmaterial genauso wichtig, wie der ausgewählte Ort der Intervention, als auch der entstehende Diskurs, sagt Orion.

„Meine Arbeit ist keine ästhetische Suche, sie ist eine Suche nach dem Sinn.“ Alexandre Orion.
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Eine großformatige Drachenfigur aus farbigen aufgeklebten Buchstaben wacht wie ein Wappentier am Eingang der Zwillingtürme der Deutschen Bank Zentrale. Typisch Banker könnte man meinen, vor allem ästhetisch, geschmackvoll, groß und dekorativ muss es sein. Und in der Tat mutet die farbenfrohe Drachengestalt durchaus fröhlich an; Freundliche Monster nennt die Deutsche Bank denn auch die Arbeiten der Street-Art Künstlerin Fefe Talavera, die in Sao Paulo aufgewachsen ist.

Doch ein Blick auf ihre Monster Paintings, welche Talavera in ihrer Heimatstadt geschaffen hat, zeigt uns, dass unter der grellbunten Oberfläche auch eine grimmige, dunkle Seite brodelt. Inspiriert von den farbenprächtigen Alebrijes, den Pappmaché-Figuren, die der Künstler Pedro Linares 1936 erfand und die Teil der mexikanischen Volkskunst sind, schuf Fefe Talavera ihre Bestien aus den ausgeschnittenen Buchstaben der Poster und Plakate in ihrer Stadt. Vor dem offiziellen Werbeverbot in Sao Paulo 2007 benutzte die Künstlerin Werbeplakate als Medium für ihre Graffitis. Heute druckt sie die Buchstaben selbst und fügt sie zu ihren Monstern, Methapern für ihre Gefühle wie Wut, Angst oder Träume und Hoffnungen, zusammen.

Street-Art-Brazil: Die Ausstellung der Schirn Kunsthalle ist im Außenraum der Schirn Kunsthalle Frankfurt und an verschiedenen Orten Frankfurts vom 5. September bis 27. Oktober 2013 zu sehen. Die Kunstwerke sind frei zugänglich . Infos unter www.schirn.de

Fotos: Sylvia Bernhardt

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